Blog N° 40 – Chronische Unzufriedenheit im digitalen Zeitalter und ein tiefer Brunnen

By Robert Pap | Blog

Okt 19

Blog N° 40, Chronische Unzufriedenheit im digitalen Zeitalter und ein tiefer Brunnen

Wie groß ist Ihr Glaube an die eigenen Möglichkeiten, etwas Grundsätzliches im Leben verändern zu können? Angenommen Sie haben

  • chronische Rückenschmerzen 

  • schlafen nicht mehr so gut wie früher 

  • fühlen sich manchmal ausgebrannt und

  • sind abends einfach nur mehr erschöpft.

Erkennen Sie sich wieder? Dann geht es Ihnen wie den meisten Menschen im deutschsprachigen Raum. In einer groß angelegten deutschen Studie aus dem Jahr 2016 kam heraus, dass genau diese Merkmale zu einem unglücklichen Leben führen.

 Je älter die Menschen werden, desto unzufriedener werden sie. Unter anderem ging es in der Studie auch um die Stressbelastung und die Bereitschaft, etwas im Leben ändern zu wollen. Erstaunlicherweise ist diese sehr hoch, doch die meisten Menschen scheitern an der Umsetzung.

Änderungen in einem Lebensbereich haben Auswirkungen in anderen Bereichen und meist ziehen sie einen Rattenschwanz an Konsequenzen mit sich mit. Da lassen es die meisten doch gleich beim ersten größeren Hindernis ganz sein und begnügen sich mit der Ratte in der Hand, als dass sie sich nach der Taube am Dach strecken.

Ich weiß, es ist der Spatz. Der war mir in diesem Fall doch zu lieblich. 

Was passiert eigentlich mit uns, wenn wir uns mit dem Mittelmaß begnügen? Ich meine, in den nächsten Jahren. Wenn wir uns nicht trauen, einen Sprung ins kalte Wasser zu machen, um etwas Großes im Leben zu ändern? Wenn wir die beruflichen oder privaten Umstände, die uns längst nicht mehr nähren, einfach so sein lassen, wie sie sind. Laut Studie  glauben 57% der 40-59jährigen, dass Durchhalten die beste Methode ist. Also ja nichts ändern. 

Und die meisten glauben dann tatsächlich, dass es so bleibt. Ihr Leben. Doch die Situation verschärft sich immer, wenn wir nichts tun.

Stillstand ist nie angesagt. 

Das Leben will, dass wir uns entwickeln und scheinbar ausweglose Lebenssituationen wollen gelöst werden, weil uns das weiter bringt. Was kommt dann? Nun – zuerst entsteht bei großen Veränderungen ein mehr oder wenig großes Chaos. Und das ist gut so. Kein Stein bleibt auf dem anderen.

Ein neuer Job, neue Wohnung, neuer Freundeskreis und vielleicht sogar ein neuer Partner. 

Was mir in den letzten Jahren bei meinen Klienten aufgefallen ist, dass die Geduld für solche lebensverändernden Vorhaben viel kleiner geworden ist. Die Geduld für den Transformationsprozess fehlt. Wenn dieser zu hastig oder zu wenig achtsam vollzogen wird, dann dauert es zwei oder drei Jahre und der Freundeskreis, die Wohnung oder die neue Partnerin sehen zwar anders aus, widerspiegeln aber dieselben Muster und der Lerneffekt war gleich Null.

Das digitale Zeitalter begünstigt die Geschwindigkeit. Gut tut sie uns aber in diesem Fall nicht. Nicht, wenn wir Großes vorhaben. Noch ein Phänomen ist zu beobachten: 

Kaum wer hat mehr die Geduld, sich auf andere Menschen wirklich tief einzulassen. Diese Bereitschaft, all die Besonderheiten anzunehmen, geht sprichwörtlich den Bach runter. Jetzt haben wir so viel Angebot wie nie zuvor und doch sind so viele Menschen unzufrieden. Woran liegt das?

Dazu sind nun zwei, wenn nicht drei verschiedene Sichtweisen notwendig.

1 Das Angebot

Zuerst einmal das Angebot. Das ist eindeutig mehr geworden. Auch bei der Partnersuche. Passt ein potentieller Lebensabschnittspartner nicht mit dem Vorgaben im App zusammen, dann wird er oder sie einfach weggewischt. Da kommt sicher noch was Besseres nach. Außerdem hat Abwechslung ja auch etwas Erfrischendes. Aber Moment! Ich schrieb doch von den älteren Leuten, die so unzufrieden sind. Sind es die mid-twenties denn auch schon?

Ja, es fängt schon viel früher an. Viel Auswahl haben bedeutet auch mehr Entscheidungen treffen müssen. Schicken Sie doch mal einen Menschen, der nicht regelmäßig einkauft - Ihr Kind zum Beispiel - in den Supermarkt und lassen Sie sich ein Joghurt holen. Das dauert!

Geben Sie Ihren Kindern in den ersten Jahren jeden Tag sehr viele Wahlmöglichkeiten, dann steigt der Cortisolspiegel im Blut an und das bedeutet nichts Gutes. Das Gehirn ist noch gar nicht in der Lage, so viele Entscheidungen treffen zu können und reagiert mit weiteren Neurotransmittern, die den Gefühlszustand des Kindes unleidlich erscheinen lassen.

Kein leichter Zustand für die Eltern, meinen Sie es doch gut, wenn sie ihre Kinder fragen, ob sie lieber in diesen oder jenen Kindergarten gehen wollen. Sie fragen ständig was die Kids wollen und möchten letztendlich nur eines: zufriedene und glückliche Kinder. Doch daraus wird nichts, wenn ständig gefragt wird. Das führt zu einer kompletten Überforderung, vor allem dann, wenn es Entscheidungen sind, die weitreichende Konsequenzen mit sich tragen und die das Kind überhaupt nicht abschätzen kann. Wollen Sie Ihre Unzufriedenheit mit Ihren Kindern ablegen, dann entscheiden Sie mehr selber und geben Sie viel mehr Dinge einfach vor. 


2 Das Belohnungssystem in unserem Kopf

Der zweite Aspekt, den ich im Zusammenhang mit chronischer Unzufriedenheit beleuchten möchte, ist unser Belohnungssystem und den Umgang mit der Digitalisierung.

Ab 40 wird es vielen zu viel. Es wird immer mehr Arbeit, die in noch kürzerer Zeit erledigt werden soll. Bei der Frage nach psychischen Beschwerden wie Erschöpfung, Ängsten und depressiven Verstimmungen ist die Generation ab 40 bereits überdurchschnittlich betroffen. Danach gefragt, ob der Stress schon einmal ein Ausmaß angenommen hat, das sie ohne professionelle Hilfe nicht bewältigen konnten, wiederholt sich der Trend.

Ab 40 wird es vielen bereits zu viel: 

der Beruf, die Familie, die viele meist selbstauferlegten Verpflichtungen, die in dieser Phase hinzukommen. Dopamin, Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin sind jene Neurotransmitter und Botenstoffe, die durch diese Lebensweise aus dem Ruder laufen und unser Körpersystem in einen chronisch erschöpften Zustand bringen. Die Nutzung des Internets und der social media – ganz gleich ob am Smartphone, Tablet oder am Rechner – sind so angelegt, dass wir einen ständigen Dopaminschub bekommen.

Dopamin wird im Gehirn gebildet und übernimmt dort die Funktionen  

  • Denken, 

  • Bewegung,

  • Schlafen,

  • Stimmung,

  • Aufmerksamkeit,

  • Motivation,

  • Suchen und

  • Belohnung.

Neueste Studien zeigen jedoch, dass es beim Dopamin in erster Linie um die Suche geht. Dopamin bringt uns dazu, zu wollen, wünschen, auszusuchen, und zu suchen. Es lässt uns neugierig auf Ideen werden und treibt unsere Suche nach Informationen an. 

Durch Internet, Twitter und WhatsApp erhalten wir schnelle Ergebnisse, wenn wir den Wunsch verspüren, etwas zu suchen. 

Ist eine Nachricht mit einem Signal verbunden, wird das Dopaminsystem erst so richtig angefeuert. Dies ist ein süchtigmachender Effekt, wobei kurze Nachrichten sogar noch süchtig machender sind: denn das Dopaminsystem wird am stärksten stimuliert, wenn die einkommende Information so klein ist, dass sie nicht voll zufrieden stellt. 

Unser Belohnungssystem im Gehirn wird bei jeder Mail, bei jedem WhatsApp stimuliert und ist irgendwann überlastet. Denn auch zu viel Dopamin ist nicht gesund.

Hier eine kurze Geschichte aus einer ganz anderen Zeitepoche, um zu verdeutlichen, was verloren geht und wie wir die chronische Unzufriedenheit, die Rückenschmerzen und den erholsamen Schlaf wieder zurück gewinnen können:

3 Der tiefe Brunnen

Ein Mönch war mit dem Schöpfen von Wasser aus einem tiefen Brunnen beschäftigt. Er sagte zu seinen Besuchern:
„Schaut in den Brunnen. Was seht ihr?“
Die Leute blickten in den tiefen Brunnen: „Wir sehen nichts!“
Nach einer kurzen Weile forderte der Mönch die Leute erneut auf:
„Schaut in den Brunnen! Was seht ihr jetzt?“
Die Leute blickten wieder hinunter: „Ja, jetzt sehen wir uns selber!“
Der Mönch sprach: „Nun, als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig. Jetzt ist das Wasser ruhig. Das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation: Man sieht sich selber! Und nun wartet noch eine Weile.“
Nach einer Weile sagte der Mönch erneut: „Schaut jetzt in den Brunnen. Was seht ihr?“
Die Menschen schauten hinunter: „Nun sehen wir die Steine auf dem Grund des Brunnens.“
Da erklärte der Mönch: „Das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation. Wenn man lange genug wartet, sieht man den Grund aller Dinge.“

unbekannt

Es gab Ende der 70er Jahre eine 13-teilige Serie eines Jungen, der sein Lächeln verkaufte und ab dem Zeitpunkt jede Wette gewann. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Timm Thaler. Der Film wurde 2017 neu verfilmt. 

So ähnlich kommt mir unser Verhalten in Bezug zur digitalen Welt vor. Wir haben viel Nutzen dadurch gewonnen, aber auch einen hohen Preis dafür bezahlt.

Um selbst darauf zu kommen, was Sie wirklich im Leben wollen, ist es meistens gut, einen Gang zurückzuschalten und echte Ruhe einkehren zu lassen. Am besten in der Natur ohne Smartphone.  

Oder Sie hören sich meinen Podcast zum mittleren Weg an.

Bei großen Änderungen im Leben lassen sich schlaue Menschen begleiten. 

Vielleicht gibt es ja einen guten Freund, einen Menschen, dem Sie sich anvertrauen können. Schauen Sie sich gemeinsam den Film an und reden Sie über die große Sache in Ihrem Leben. 

Und fragen Sie sich, inwieweit diese noch von Ihnen selbst entschieden wird? Alles Gute dabei.

About the Author

DI Robert Pap, Mentalcoach und Raumdesigner. Gründer von Freiräumen.com mit dem Schwerpunkt Stressmanagement

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