Gelassenheit, Stoizismus und ein verschütteter Kaffee

By Robert Pap | Blog

Sep 22

Gelassenheit, Stoizismus und ein verschütteter Kaffee

Bei den heftigen Herausforderungen im Leben trennt sich die Spreu vom Weizen, wenn es darum geht, ob ein Mensch wirklich gelassen ist.

Was ist das Gegenteil von gelassen sein?

Ist es ist ängstlich sein? Oder hysterisch und panisch sein? Bei solchen Kategorisierungen bin ich immer etwas skeptisch. Für den einen ist es so, für den anderen so.  Gelassen sein ist jedenfalls eine Bewegung nach unten. Das Gegenteil bewegt sich demnach vom Gefühl her nach oben.

Vermutlich sind Angst und Gier die beiden Hauptemotionen in unserer derzeitigen Gesellschaft. Dann können Sie schon erahnen, wie hoch der Anteil an wirklich gelassenen Menschen ist.Schon in der Antike war die Fähigkeit gelassen zu sein sehr gefragt. Ein ängstlicher Mensch kann nicht gelassen sein. Die griechischen Stoiker glaubten an ein Leben nach dem Tod, jedoch im Unterschied zu den Christen an kein individualisiertes Weiterleben.

Vielmehr waren sie der Überzeugung, dass die Seele eines verstorbenen Menschen in den großen Seelenpool übergeht, die mit einer kosmischen Energie verbunden ist. Der Körper ist demnach nur ein Fahrzeug des Eigentlichen in uns. Das wahre Ich sitzt in der Seele und ist unsterblich.

Der Tod, der der Gelassenheit soviel Raum wegnimmt, verliert zu Lebzeiten im Stoizismus so seinen Schrecken. Hier können Sie erahnen, wie hoch die Stoiker das uns bekannte Ego bewerteten.

All die Versuche sich zu rechtfertigen, sich zu verteidigen und seine Existenz rein in der körperlichen Daseinsform zu beschreiben waren hinfällig. Die verzweifelten Versuche sich über Worte und Taten zu definieren, Statussymbole anzuhäufen, um uns spüren zu lassen, dass wir auch wirklich da sind – leben – das scheint mit dieser gelassenen Grundhaltung obsolet zu sein.

Statt zu überleben, war es wichtig zu leben. Ohne die allgegenwärtige Angst, die uns so dermaßen stark einnimmt, dass wir uns irgendwann mit ihr eins werden.

Fehlende Gelassenheit im Alltag können Sie überall sehen. Wenn Ihr Chef einen cholerischen Anfall hat, ihre Frau wegen einer Kleinigkeit hysterisch wird, ganz normale Menschen bei einer Großveranstaltung in Panik geraten.

Das was bei solchen Geschehnissen fehlt, ist die Gelassenheit. Sie ist die Ursache für irrationales Verhalten, das meist in heftigen Schüben kommt. Die Panik – die übersteigerte Schwester der Angst – kommt nicht allmählich. Sie bricht förmlich in uns herein und wir können sie nicht mehr steuern. Was dann entsteht ist ernsthafter Stress, der auf lange Sicht krank macht. Doch wie kommt es, dass bei uns die Gelassenheit in manchen Situation vollkommen fehlt?

Stellen Sie sich vor, sie haben eine Krankheit,

die ihr Arzt noch nicht ganz einordnen kann. Nach der ersten Untersuchung sagt er womöglich nicht viel und fordert Sie auf, zu einer zweiten Untersuchung zu kommen. Die dritte Begegnung soll dann bitte im Spital im Beisein von einem weiteren Spezialisten erfolgen. Und das alles im Abstand von vier Wochen.

Wenn Sie in solchen Momenten keine Gelassenheit haben, dann beginnen sich Ängste zu entwickeln. Sie schrauben sich hoch wie die Vögel in einer Thermik und erschaffen Bilder des Grauens.

Womöglich sind sie mit einem noch unbekannten Virus infiziert?

Es gibt noch immer keine Diagnose und keine entwarnenden Worte seitens der Ärzte. Vielleicht werden Sie bald sterben. Ihr Verstand beginnt nun mit all seinen zur Verfügung stehenden Mitteln herauszufinden, was los ist und wird immer schneller.

Sie erleben das als Kopfkino, sehen dazu Bilder, die Ängste werden größer und größer. Tränen fließen und die liebsten Menschen in Ihrer Umgebung können Ihnen auch nicht weiterhelfen.

Bei mir zog sich dieser Prozess über einen Zeitraum von vier Monaten. In den ersten zwei Wochen hatte ich vergessen, dass ich ein gelassener Mensch bin.

Solange hat es gedauert, bis ich mich in diesem unsicheren Zustand wieder zurecht fand. Was war geschehen? Es war ein Ereignis in der Silvesternacht, als mich ein Teil einer Feuerwerksrakete im linken Auge traf und ich nichts mehr sehen konnte. Ich erinnerte mich an die Fernsehserie Raumschiff Enterprise mit Captain Kirk und seinem ersten Offizier Spok.

Das war der Vulkanier mit den spitzen Ohren. Aufgrund seiner Abstammung war es ihm nicht möglich, Emotionen zu fühlen. Die Logik war sein Fundament, auf dem all seine Entscheidungen beruhten. Immer dann, wenn die Mannschaft der Enterprise drohte zerstört zu werden, wenn es auf der Brücke wackelte, das Raumschiff rauchte und unter Beschuss stand, wandte er einen Trick an, der mir in meiner Situation sehr geholfen hat. Er sagte einfach nur „faszinierend“ und zog dabei eine seiner Augenbraue hoch.

Probieren Sie es einmal aus, wenn Sie das nächste mal in einer krisengeschüttelten Situation sind, in der alle Menschen irrational handeln. Es passiert etwas Unglaubliches mit Ihnen, wenn Sie „faszinierend“ sagen.

Es wird ruhig in uns.

Sie sind in einem Zustand, der frei von den heftigen Emotionen wie Panik und Ohnmacht ist und können für einen relativ langen Zeitraum – auch wenn es nur ein paar Sekunden sind – klar denken.

Wenn Sie dazu noch ein überlegenes Lächeln von sich geben können, wird die Sache noch leichter. Als ich gestern meine Frau mit heißem Kaffee fast verbrüht hätte und den Sitz, die Tasche und ihr Handy übergoß, blieben wir beide ruhig. Das erste Wort, das mir in den Sinn kam war „faszinierend“ und vielleicht auch deswegen gab es weder von mir noch von meiner Frau ein großes Drumherum wegen diesem Missgeschick. Wir haben aber auch eine eine große Portion Gelassenheit in uns.

„Faszinierend“ bringt Sie augenblicklich in eine Metaebene, und Sie werden aus der eigenen Suppe, die voll von Angst und irrationalen Befürchtungen verseucht ist, herausgehoben. Wie wenn ein Adler Sie aus dem Wasser fischt und Sie mit in seinen Horst nimmt. Von dort oben können Sie sich dann das Erlebte in aller Ruhe ansehen. Sie beobachten sich dabei selbst, wie Sie gerade panisch sind und Ihnen die Gelassenheit abhanden gekommen ist.

Fernab von jeglicher religiösen Betrachtung könnte man sagen, dass Sie eine außerkörperliche Erfahrung machen. Sie bemerken, dass dieser Körper nicht Sie selbst sind und Ihr Ego, das mit dem Verstand ganz eng verbunden ist, sich für einen kurzen Moment zurückzieht.

Meditationspraktiken auf der ganzen Welt beschäftigen sich mit diesem Zustand und versuchen auf unterschiedliche Art und Weise den Verstand abzuschalten, damit sich das eigentliche Wesen zeigen kann. Im sogenannten Wesenskern jedes Menschen ist die pure Gelassenheit enthalten.

Je näher Sie diesem Kern kommen, desto höher ist Ihre Gelassenheit.

Ob Sie nun sitzen und Zen Meditation praktizieren oder einen Derwisch-Tanz erlernen, holotrophes Atmen attraktiv finden oder im Tantra Ihr Ego minimieren ist nebensächlich. Angebote gibt es genug. Das Wort „faszinierend“ kann ein Anfang sein, um in Ihrem Alltag augenblicklich einen Hauch von Gelassenheit zu verspüren.

Wann waren Sie das letzte mal in einer aufgeregten Situation gelassen?

About the Author

DI Robert Pap, Mentalcoach und Raumdesigner. Gründer von Freiräumen.com mit dem Schwerpunkt Stressmanagement

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